Mediendebatte. Spiegel-Thema

Genau (oder eher fast) passend zu unserem medien(kritischen) Kurs
kommt "Der Spiegel" mit seiner Auseinandersetzung mit der Frage: "Neue
Medien - gut oder schlecht für Kinder?"

Freilich, es geht hier nicht um die Konkurrenz der Medien, sondern um
diese ominöse Frage "Machen uns die Medien dumm?". "Der Spiegel"
illustriert mit seinen Recherchen bestens die Ambivalenz des Problems,
das er aufgreift. Zunächst geht es um die "Glotze". Eben die Auswahl
der Termini bestimmt die Diskussion - zwar werden die Iconoklasten und
die Ikonodulen aus dem wissenschaftlich-erziehrischen Bereichen zu
Wort gebeten. Die ersten behaupten, "Neue Medien machen dumm", die
anderen - "Ohne neue Medien geht es nicht". Doch dann schwindet die
Lautstärke der zweiten, medienfreundlichen Gruppe, und geht
schliesslich unter, begleitet von fragwürdigen wie beunruhigenden
Bildern schreiender "Mädchen beim Computerspiel" in Cyberspace-outfit
und dubiösen Vergleichen der Strichmännchen, die Kinder mit
bescheidenem sowie uppigen TV-Genuss entwerfen.

Hier schneiden die TV... ähm... Glotze-Kinder vermeintlich schlechter
ab. Im Gegensatz zu den Kindern, die bis zu einer Stunde fernsehen,
und deren Strichmännchen viele Details aufweisen, wirken die
Zeichnungen von Kindern, die täglich mindestens 3 Stunden fernsehen
ziemlich detailarm. Na und? - frage ich mich. Sollen wir deshalb auch
die Abstraktionisten missachten, im Gegensatz zu
gesellschaftskitschigen Realisten?

Eine andere Umfrage glänzt in ihrer diffusen Absurdität. Bessere bzw.
schlechtere Leistung bei Schulkindern, die auf "noch nie" bis "spiele
sehr oft" kategorisiert werden. Ist das ein Tippfehler, liebes
Kriminalogisches Forschungsinstitut Niedersachen e.V. (das den Grafik
dem "Spiegel" zur Verfügung stellt)?. Die bessere Leistung sieht man
nämlich nur bei "noch nie gespielt"-Kindern. Alle anderen (also ab
"nur ein paarmal gespielt") schneiden sofort schlecht ab. Also
sophysmisieren wir mal, hast Du ein paarmal gespielt, ist Dein
Bildungsweg hoffnungslos.

Dann kommt der neue Hammer: Kinder nehmen Kinder beim Prügeln auf und
verbreiten diese Videos durch Handys. Ein beunruhigender Symptom, doch
er wird wieder medienkritisch instrumentalisiert. Aber die andere
Perspektive schlägt "Der Spiegel" den Lesern nicht vor: z.B. dass die
gewalttätigen Kinder einfach ein neues Medium gefunden haben. (Und
nicht: "Das neue Medium macht Kinder gewalttätig", wie "Der Spiegel"
impliziert).

Das ist wohl der wichtigste Aspekt des Diskurses um die Medien und
ihre Zusammenhänge mit den gesellschaftlichen Exzessen. Die Medien
sind ein Indikator für die gesellschaftliche Probleme. Die Medien
zerstören nicht, sondern betonen die kommunikativen Defizite. Denn die
Eltern - das ist der Hauptfaktor der Entwicklung des Kindes. Und das
Unkenntnis der Eltern, worum es sich bei den neuen Medien handelt,
erschwert die Diagnose. Hier rehabilitiert sich "Der Spiegel" in
ganzem Masse und spricht das tabooisiertes Erziehungsthema "Eltern
haften für Ihre Kinder" an.

Man bekommt sogar das Gefühl, der medienfeindliche Autor ist zum
Mittagessen gegangen, und sein medienfreundlicherer Kollege schreibt
weiter. Denn es stellt sich heraus, die Medien sind doch nicht schuld
an Amokläufern, es stellt sich heraus, die Killerspieler sind auch
Menschen, und zwar intelligente und humorvolle. Es stellt sich aber
vor allem heraus, jedes Mediendiskurs grenzt an die Hysterie. Man
erwähnt sogar die Selbstmordwelle nach "Leiden des Jungen Werther" -
soll man auch hier zensurtechnisch vorgehen? (Frage, die ich schon vor
Monaten stellte, <a
href="http://merzmensch.blogspot.com/2006/11/brief-die-mchtgen-dieser-welt.html">http://merzmensch.blogspot.com/2006/11/brief-die-mchtgen-dieser-welt.html).

Die Probleme, die man oft mit modernen Medien verbindet,
"blutrunstigen Spiele", "Anonymisierung im Netz", "Verdummung" etc.
waren auch vor den Medien da. Die Medien haben unsere Problematik nur
noch verdeutlicht. Und nun stehen die Medienkritiker mit grossen
Philippiken gegen die neuen Medien auf. Es ist nur noch naiv. So naiv,
wie ein fieberkranker Patient, der alle Schuld an seiner Krankheit auf
sein Thermometer aufwälzt, das ihm 39°C zeigt. Nur dass ein
Fieberkranker unzurechnungsfähig ist...

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